Die
rechtskonservative Szene in Deutschland - vom rechten Rand der AfD bis tief in die von Seehofer nach rechts gelenkte CSU hinein - hat sich offenbar auf zwei
Feindbilder geeinigt: Die Vorsitzende der CDU und den Papst. Wir leben
in bemerkenswerten Zeiten.
Willkommen auf dem Blog von Philipp Freiherr von Brandenstein: Schwerpunktthemen sind deutsche und internationale Politik sowie die Themen Integration, Migration, Vielfalt und die Zukunft der offenen Gesellschaft. Der Politikwissenschaftler und liberale Blogger Philipp von Brandenstein arbeitet als Berater für Strategie und Kommunikation und spricht für eine Menschenrechtsorganisation in der Schweiz. Arbeits- und Lebensmittelpunkte sind Zürich, München, Düsseldorf und Berlin.
Sonntag, 13. September 2015
Assad und Putin - Der doppelte Hebel gegen den Westen
Wer glaubt, vor allem der IS stünde im Visier Assads, der irrt oder
verschleiert mutwillig. Denn die beiden Seiten machen lohnende Geschäfte
miteinander und kooperieren teils auch gegen gemeinsame Feinde. Assad
aber wird den Krieg gegen die syrische Bevölkerung fortsetzen können.
Mehr Fassbomben werden auf Wohngebiete niedergehen, mehr Menschen werden
fliehen müssen oder vertrieben werden. Putin hat also einen zweifachen
Hebel gefunden, um Druck auf Europa zu machen. Diese Möglichkeit hat er
allerdings nur bekommen, da der Westen weitgehend untätig bleibt.
Das Böse ist dazu verurteilt, einzig sich selbst zu reflektieren
Claude Lanzmann merkt in seinen Memoiren "Der patagonische Hase" an,
dass bei allem Nachdenken über das Böse - und Lanzmann hatte während der
mehr als zehnjährigen Arbeiten an "Shoah" viel Anlass darüber
nachzudenken - doch immer die Einsicht zutagetrete, dass das Böse dazu
verurteilt sei, einzig sich selbst zu reflektieren. Das ist ein Satz von
großer philosophischer und ethischer Klarheit. Darüber darf man
nachdenken, heute, am immer wiederkehrenden 11. September, und auch im
Hinblick auf viele menschenverachtende Kommentare über Flüchtlinge,
auf Facebook und im politischen Diskurs.
Das Feindbild der CSU ist jetzt ein Dreiklang: Migranten, Muslime, Merkel.
Es wirkt, als sei die Regierungspartei CSU in die Opposition gewechselt und habe sich dort radikalisiert. Die CSU lädt den Rechtspopulisten Viktor Orbán zu ihrer Klausurtagung ein, stigmatisiert Flüchtlinge und die tausenden Helfer, die CSU überzieht Merkel mit ätzender Kritik und schmeichelt nun auch noch dem Autokraten Putin. Inhaltlich sind die Christsozialen der AfD, der NPD und der Linkspartei weit näher als der CDU. Die CSU als AfD-Plagiat?
Nachdem das Projekt einer "Urbanisierung" der CSU schon seit Jahren als gescheitert gilt, konzentriert sich die CSU unter Seehofer nun offenbar auf ihre Orbanisierung, also ihrer endgültigen Hinwendung zum Rechtspopulismus. Seit 2008 hat Seehofer zahlreiche Versuche in diese Richtung unternommen (Gauweiler, Anti-Türkei-Kampagne etc.), sich dann letztlich aber doch immer wieder an Merkels Popularität orientiert. Damit ist jetzt Schluss. Das Feindbild der CSU ist jetzt ein Dreiklang: Migranten, Muslime, Merkel. Und das ist insgesamt schade!
Nachdem das Projekt einer "Urbanisierung" der CSU schon seit Jahren als gescheitert gilt, konzentriert sich die CSU unter Seehofer nun offenbar auf ihre Orbanisierung, also ihrer endgültigen Hinwendung zum Rechtspopulismus. Seit 2008 hat Seehofer zahlreiche Versuche in diese Richtung unternommen (Gauweiler, Anti-Türkei-Kampagne etc.), sich dann letztlich aber doch immer wieder an Merkels Popularität orientiert. Damit ist jetzt Schluss. Das Feindbild der CSU ist jetzt ein Dreiklang: Migranten, Muslime, Merkel. Und das ist insgesamt schade!
800.000 - Eine Flüchtlingszahl macht die Runde in Deutschland
Die Zahl 800.000 macht überall die Runde und immer wieder fällt seitens
ganz bestimmter und nach eigenen Angaben ganz besonders patriotischer
Politiker der Begriff "Überforderung". Zur Erinnerung: Nachdem
Frankreich kapituliert hatte und Britannien allein gegen das mit der
Sowjetunion verbündete NS-Deutschland kämpfte, mussten innerhalb von
Wochen weit über 800.000 britische Schulkinder wegen deutscher
Bombenangriffe evakuiert werden. Sie wurden zu Flüchtlingen und
Vertriebenen im eigenen Land. In
Britannien erinnern sich die Menschen daran, in Deutschland hat sich
offenbar nie jemand dafür interessiert. Im Gegensatz zum reichen,
stabilen und heute friedlichen Deutschland stand das Vereinigte
Königreich damals mit dem Rücken zur Wand und kämpfte um das nackte
Überleben. Aber buchstäblich kein Brite hätte in derart
jämmerlich-larmoyanter Manier das Wort "Überforderung" in den Mund
genommen. Stattdessen hieß es: Keep calm and carry on. Viele deutsche
Bürger handeln heute nach diesem Motto. Sie sind die besseren Patrioten.
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Montag, 7. September 2015
Gesellschaftlicher Wandel: Deutschland und die Flüchtlinge
Was für ein erstaunliches Land dieses Deutschland doch sein kann. Man
gewinnt in diesen Tagen den Eindruck, dass dieses Land sich gerade neu
erfindet, sein Selbstverständnis, seine gesamte Identität um
entscheidende humanistische Komponenten erweitert. Das Deutschland
dieser Tage scheint seinen Stolz nicht mehr aus Triumphgeschrei, sondern
aus ganz selbstverständlicher und unverkrampfter Weltoffenheit, aus
fast schwereloser unprätentiöser Mitmenschlichkeit und Großzügigkeit zu
beziehen. Darüber darf man vielleicht wirklich ein bisschen glücklich
sein, vielleicht sogar ein wenig stolz. Allzu (selbst-) zufrieden
sollten wir nicht sein; nicht solange noch immer Asylbewerberunterkünfte
in Brand gesteckt werden und Rassisten um die Macht der Straße kämpfen.
Aber auch dieser Hass von den Rändern kann nicht verdecken, was für ein
wundersamer gesellschaftlicher Wandel sich in diesem Spätsommer in
Deutschland manifestiert. Fast unnötig festzustellen, dass dieser Wandel
nicht vom Staat oder vom politischen Teilsystem angestoßen wurde,
sondern von den wichtigsten und zentralen gesellschaftlichen Akteuren,
den Bürgern. Diese Bürger haben sich als viel großherziger und
weltoffener gezeigt als dies die Demoskopen und Strategen in den
Ministerien und Parteizentrale je für möglich gehalten hätten. Viele
grundlegende Annahmen dieser Wählerstimmenmaximierer, die politische
Ethik oftmals für nostalgisch-rührseligen Ballast halten, sind praktisch
über Nacht obsolet geworden. Man wird sie an (vermeintlich) neue
gesellschaftliche Anforderungen anpassen müssen. Vielleicht ist dies die
schönste Nachricht in diesen bemerkenswerten Tagen.
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Donnerstag, 3. September 2015
Neonazi-Demo in Hamburg: Wer stellt sich dem braunen Mob entgegen?
Neonazis, Hooligans und Rassisten rufen zu einer Demonstration in Hamburg auf. Am 12. September Diese Mobilmachung der Neonazis ist nicht weniger als eine Kampfansage
an diesen freiheitlich-demokratischen Staat und an die offene
Gesellschaft. Wer wird sich diesem Mob entgegenstellen? Die Polizei? Ich
glaube, das trifft es nicht. Denn Aufgabe der Polizei ist es, Straftaten zu
verhindern und zu verfolgen. Gesellschaftliche Organisation (nennen wir
es ruhig Widerstand) gegen diesen braunen Spuk kann und soll sie nicht ersetzen. Denn ein Polizeieinsatz ist kein Ersatz für eine wache, vielfältige und aufgeklärte Zivilgesellschaft. Nein, hier sind die Bürger gefragt, und zwar nicht irgendwelche Bürgerwehren, sondern vielmehr die Bürger im Sinne des engagierten Citoyen, die oder der ihr Gemeinwesen schützen und ein Bekenntnis zur Demokratie abgeben will; die oder der Hass und Gewalt nicht ohne laut vernehmbaren Widerspruch hinnimmt; der dagegenhält, immer und überall. Denn den Braunen darf die Straße nicht überlassen werden. Auch nicht für ein paar Stunden. Davon ginge ein fatales Signal aus.
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Viktor Orbán irrt: Flüchtlinge sind - damals und heute - ein europäisches Gemeinschaftsprojekt
Die Flüchtlingskrise sei kein europäisches Problem, meint Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, sondern ein "deutsches Problem". Diese Einlassung ist bemerkenswert. Dies nicht nur, da Orbáns willfährige Unterstützung für Assads treuesten Verbündeten Putin den Ungarn selbst zum Teil der Ursache des geleugneten Problems macht, sondern weil Orbán historische Erinnerung weiter reichen sollte: Nach dem ungarischen Volksaufstand flohen innerhalb kürzester Zeit über
200.000 Menschen vor der brutalen kommunistischen Verfolgung ins benachbarte
westliche Ausland. Das ganze freie Europa hat damals geholfen. Und das
war kein "Problem", sondern eine Selbstverständlichkeit und ein europäisches Gemeinschaftprojekt avant la lettre.
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Bilder und Worte - Über das Bild des ertrunkenen Flüchtlingskinds und die Verrohung der Sprache
Das Bild des ertrunkenen Flüchtlingskinds am Strand von Bodrum, es ist
eines von wohl hunderten ertrunkenen Flüchtlingskindern allein in diesem
Jahr, erschüttert wohl jeden Menschen, den Zynismus und Hass nicht zum
Menschenfeind gemacht haben, in seinem Innersten. Doch wird sich durch
die bildhafte Verbreitung dieses Grauens etwas ändern? Werden Politiker,
die bisher jede Verantwortung für den Horror, der sich auf den Meeren
und Straßen in und um Europa tagtäglich ereignet, und
jede daraus erwachsende Verpflichtung abstreiten, aufgrund dieses
Bildes umdenken und ihr Verantwortungsgefühl entdecken? Ich weiß es
nicht. Aber vielleicht wird dem einen oder anderen Stichwortgeber
angesichts dieser herzzerreißenden Bilder eines ertrunkenen und tot an
den Strand gespülten Kindes endlich klar, wie schändlich und
menschenverachtend politische Kampf-Vokabeln wie "Flüchtlingsflut",
"Asylantenschwemme" etc. tatsächlich sind. Durch solche Begriffe werden
die (großen und kleinen) Menschen, die auf der Flucht sind, zu einer
vermeintlich anonymen und bedrohlichen Naturgewalt stilisiert und damit,
teils wohl ganz bewusst, für den politischen Sprachgebrauch
"entmenschlicht". Solange wir zulassen, dass solche Begriffe unsere
Hirne und Herzen vergiften, wird sich auch unsere Politik nicht
grundlegend ändern. Wer unsere auf christlicher Nächstenliebe, dem
Menschenbild der Aufklärung und einer einzigartig vielfältigen
Kulturgeschichte fussende Zivilisation tatsächlich verteidigen will,
kann hier ansetzen, beim Umgang mit dem Kultuträger Sprache und im
Umgang mit den Menschen selbst.
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